– Eine Sammlung von Fragmenten über Verhältnisse,
die zumeist zu Tode geschwiegen werden –
Diese Sammlung von Fragmenten und kurzen Beschreibungen ist eine Art Kompensationsversuch. Sie ist 2004 während des Schreibens einer Magisterarbeit im Fach Philosophie als Anti-Magisterarbeit konzipiert worden. In diesem Sinne ist sie ein Gegenstück, ein therapeutisches Mittel. Dabei beruht ihr Kernanliegen auf dem Gedanken eines aufrichtigen Schreibens, das sich der Herkunft nach jeweils erfahrenen Situationen schuldet. Gerade diese Authentizität schien mir während des Verfassens der Magisterarbeit durch die diskursiven Strukturen häufig verstellt, so daß die folgenden Zeilen, seien sie auch äußerst naiv, widerspruchsvoll und höchst unphilosophisch, trotz allem im Glauben geschrieben wurden, daß sie ehrlich sind.
Anmerkung: Aufgrund des Feedbacks zu den Aufzeichnungen eines Lebensringers in ungewöhnlichen Zeiten habe ich mich entschlossen, unter Wortflüsternde neben dem affirmativen Beschreiben situativen Eingeflochten-seins in Poesie und Dichtung mehr Raum dem kritischen Denken beizumessen. Daher habe ich das philosophische Kartenhaus, welches bisher lediglich der sehr geschätzte Professor Dr. Gottfried Gabriel und Freunde gelesen hatten, überarbeitet und hier veröffentlicht. Und wer weiß, vielleicht hilft das philosophische Kartenhaus dem/der ein oder anderen Studierenden, ein schreibtherapeutisches Mittel in die eigene Hand zu nehmen. Mir hatte es damals sehr geholfen.
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Für manch einen philosophisch gebildeten Menschen scheint endlich das Goldene Zeitalter angebrochen zu sein: Man redet beflissentlich um des Reden-Willens und errät sich so das ureigenste philosophische Hochgefühl: die Selbstgenügsamkeit. Trifft man diese Leute aber bei rauem und windigem Wetter in dunklen und engen Gassen, so schreien sie verängstigt auf: „Durch mich spricht nur der Diskurs, hier kann ich wirklich nichts verrichten; ich bin selbst nur ein Gefangener!“
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Vor kurzem erzählte mir jemand eine Geschichte, die ich kaum zu glauben wagte: So soll in einem weit entfernten Dorf ein alter Mann gelebt haben, der Tag ein und Tag aus dem fremden Leiden, das sich die Menschen um ihn herum gegenseitig zufügten, eingedachte. So wurde nun aber weiter berichtet, daß dieser arme alte Mann eines Morgens bemerkte, daß kein anderer Mensch mehr lebte, mit dem er seine Erinnerungen hätte teilen können.
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Als Philosoph muss man wirklich privilegiert sein! Man kann es sogar soweit treiben, und wir alle wissen, wie es um unsere Triebe steht, daß man sich ohne bestimmten Grund ein philosophisches Problem schafft und gleichzeitig weiß, daß man für dieses Problem niemals eine Lösung finden wird.
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Von Zeit zu Zeit umfängt mich eine merkwürdige Stimmung, in der es scheint, als müssten Philosophen etwas mit dem märchenhaften Sandmännchen gemeinsam haben. Ganz plötzlich lässt man sich von einer Traumwelt umgarnen, die man nicht mehr von der Realität zu unterscheiden weiß, und wenn man glaubt, daß man aufwachen würde, erahnt man nicht mehr, ob man träumt oder wach ist. Für manche Philosophiehistoriker mag hieraus ein bleibender Schaden entstanden sein.
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Es gibt immer noch einige Menschen, die nicht glauben wollen, daß auch das Denken innerhalb der Mauern der Philosophie der Ökonomie, der Politik und der Mode unterworfen ist. Dazu kann ich nur sagen: Die Geschichte der Philosophie sollte eigentlich die Möglichkeit eröffnen, daß man hinzulernen kann.
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Es ist verwirrend, daß seit dem Totsagen des Menschen, des Subjekts und der Metaphysik viel mehr von diesen Begriffen gesprochen wird als noch vor dem langsamen Zugrundegehen derselben. Es käme fast der Verdacht auf, als hätte man nach einem guten Grund gesucht, die Philosophie am Leben zu erhalten.
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Wie steht es eigentlich um den so oft beschworenen Gattungsunterschied zwischen Philosophie und Dichtung? Hierauf ist mit diesen einfachen Fragen redlich zu reagieren: Ist es nicht auch die Kombinatorik der Worte, die erst eine Philosophie faszinierend und anziehend gestaltet? Was wäre etwa die philosophische Rede vom Absoluten ohne die dichterischen Verklärungen, das Undarstellbare zu beschwören?
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Wie kommt es eigentlich, daß immer noch einige der Eifrigsten versuchen, in der Philosophie so etwas wie eine Einheit zu stiften? Als gäbe es so etwas wie die Philosophie. Hier klingt eine Prophetie längst vergangener Tage nach! Warte aber, bevor unbedachtsam die Klingen der Worte geschliffen werden, denn gerade diese Propheten gehören auch zu der Melange der Philosophie, die in ihrer Vielfalt und Buntheit das Kunstwerk Philosophie so schön erstrahlen lässt.
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Wenn man zwei Philosophen miteinander intellektuell streiten sieht und vor allem lauthals hört, dann aber auf einmal kleine Spitzen die Worte zum Angriff zieren, dann kann einen das Gefühl beschleichen, daß es an dieser Stelle nicht mehr um bloße Worte und theoretische Konzeptionen geht, sondern vor allem um das Besser-sein als der Kontrahent. Es ist dann wie in einem Duell um soziale Anerkennung, so daß es scheint als würde es in der Philosophie auch um Leistung, Macht und Prestige gehen.
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Wir ach so modernen Menschen saugen die Fluten von Informationen in uns hinein, wie ein Handtuch, das alle möglichen Flüssigkeiten aufnimmt. Nun kann man beobachten, daß zu viel der Nässe manche Handtücher marode macht, so daß viele von ihnen mit der Zeit zerreißen oder löchrig werden.
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Im Haus der Philosophen scheint es zu spuken. Immer mal wieder taucht zu später Stunde der Geist des Manichäismus auf und flüstert dem Philosophen den Gegensatz zwischen wahr und unwahr, gut und schlecht ein. Ganz benommen von der geisterhaften Stimme glaubt dann der Philosoph, er habe das wahre Gute entdeckt. Von nun an weiß er dann, wofür er einzutreten hat: Er hat das Serum allen Glückes aufgesogen: Utopia. Und wir Nachstehenden können dann beobachten, daß das Gute manchmal schlechter ist als das ursprünglich so verpönte Schlechte.
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Es gibt Philosophen, durch die eine allzu mächtige und anziehende Aura ausgestrahlt wird, so daß sie auf ihre Schüler wie honigsüße Fliegenfänger wirken. So geschieht es dann, daß einige der Schüler nur noch ihren Meister sehen und andere wie ihr Meister sehen. Es entsteht wohl so des Öfteren eine verhängnisvolle Situation, die die Philosophielehrlinge zu Traditionspflegern erstarren lässt.
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Zu mir sprach vor kurzem ein guter Freund einen merkwürdigen Satz, der mich selbst so in Verwirrung stürzte, daß ich ihn bis heute nicht verstanden habe. Er sagte, eigentlich mehr so ohne Grund und ganz nebenbei: „Philosophie ist fragende Poesie“.
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Im Dunklen zu tappen und dann in dieser Dunkelheit etwas rechtfertigen zu wollen, daß zeigt im hellsten Licht das Gesicht des Philosophen.
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Wie versucht eigentlich ein Philosoph sich als Philosoph kenntlich zu machen? Zunächst gebraucht er wohl in seinen Texten Begriffe, die mit einer gewissen Häufigkeit sich in anderen, schon gesegneten philosophischen Texten finden lassen. Sodann bezieht er sich affirmativ oder kritisch auf bestimmte philosophische Figuren und schließlich versucht er plausibel zu machen, daß er in einer besonderen, eben philosophischen Manier bestimmte Zusammenhänge beschrieben oder sogar erklärt habe. Wenn er dann noch den anderen philosophisch gebildeten Menschen deutlich machen kann, daß es sich so verhalten könnte, dann erhält er letztendlich die Weihe zum Philosophen und die gemeinsame Distinktion durch Verbundenheit und Tradition scheint perfekt.
Nun wird mir auch die Diskussion verständlicher, ob Michel Foucault ein Philosoph sei oder aber nicht. So benutzte dieser nämlich recht selten klassisch philosophische Begriffe, noch bezog der sich in extenso auf andere philosophische Autoren.
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Kürzlich als mich jemand fragte, was der Wert des Lebens sei, antwortete ich ganz unbedacht: „Es ist der Wert eben dieser Frage“.
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Zwar bin ich noch nicht weit herumgekommen, doch eins habe ich bereits erfahren: Es gibt nicht den Menschen, noch die Wahrheit, sowie es auch nicht den Gott gibt.
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Wie sehr wir doch die Konstrukteure unserer eigenen Wirklichkeit sind und uns in der Folge dieser Leistung dann von diesen Gebäuden gefangen nehmen lassen, zeigt das Bestreben des Philosophen eine widerspruchsfreie Welt zu erschaffen.
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Die Vorstellung, daß ein wesentliches Merkmal der Philosophie die Widerspruchsfreiheit sei, führt die Philosophie förmlich ad absurdum, denn würde man etwa die verschiedensten und vielfältigsten Ansätze innerhalb der Philosophie übereinanderlegen, so könnte man mit Erstaunen feststellen, wie widersprüchlich doch die Philosophie ist.
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Man kann wohl denjenigen beipflichten, die zur Definition von Rationalität das Regulativ der Hoheit einer Kommunikationsgemeinschaft hinzuziehen. Fragwürdig bleibt jedoch, ob diese Hoheit wirklich so ideal, so demokratisch, verfährt, wie behauptet wird. So muss man nämlich nur die faktische Umsetzung der demokratischen Idee betrachten und diese mit der Idee von Demokratie vergleichen, schon scheint ein kleines Licht aufzugehen, und die angenommen ideale Demokratie entpuppt sich als real existierende Meritokratie.
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Seit geraumer Zeit tönt eine Aussage wie ein endloser Donnerschlag in meinem Ohr. Sie lautet, – ich getraue mir es, vor dem Tore der hohen Wissenschaft stehend, kaum zu sagen -: „Man muss sich forschungspragmatisch verhalten!“ Diese ach so zeitgemäße Äußerung scheint vor der Höhe der Wissenschaft es Schwindeln zu lassen.
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Wäre ich angehalten das besondere Kennzeichen der Philosophie zu bestimmen, so würde ich wahrscheinlich mit einem Lächeln auf dem Gesicht sagen: „Sie entwirft dem Rätsel Synonyme“.
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Der Kult der Philosophie besteht in einem leidenschaftlichen Tanz um Rätsel. Einige der Traumtänzer versuchen, wie in einer rituellen Beschwörung, dem Rätsel die Unfassbarkeit auszutreiben, um so des Rätsels Lösung begrifflich zu fassen. Andere hingegen tanzen ekstatisch um das Rätsel, um die Unbegreifbarkeit zu huldigen. Beide Riten, und das ist das Entscheidende, scheinen auf diesem Wege Leiden zu schaffen.
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Eines der stärksten waltenden Triebe der Wissenschaft scheint in der Bewältigungsstrategie zu bestehen, das Besondere, Konkrete und eigentlich Irreduzible zu verarbeiten, indem man es in Begriffe presst, um so zu einer einsehbaren Ordnung zu gelangen, die auf lange Sicht Kontinuität zu stiften vermag.
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Die eigentlichen Relativisten sind die Wissensgläubigen und Wahrheitsfanatiker. Sie zeigen durch sich selbst, wie relativ doch ihr Wissen und ihre Wahrheit ist.
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Heutzutage scheint man, um den Schlüssel für die Hallen der Wissenschaften zu erhalten, alle Eigentümlichkeiten ablegen zu müssen. Man hat sich der Sprache des Diskurses zu unterwerfen. Gleichsam findet damit ein Prozess der Nivellierung des Besonderen statt, der dadurch dem Diskurs den immanenten Allgemeinheitsanspruch verschafft. Somit sind wir zu Subjekten einer Normalisierungskultur geworden.
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Ich muss an dieser Stelle eine Geschichte erzählen, die mich bedenklich stimmt, weil es scheint als würde sich ihre Kernaussage wie ein langer Faden durch die gesamte Geschichte der Philosophie ziehen. So erlebte ich in einem philosophischen Seminar die Situation, daß ein Teilnehmer dieses Seminars etwas auf eine Frage des Seminarleiters antwortete, dass der Sprache des in diesem Seminar geführten Diskurses überhaupt nicht entsprach. Was geschah? Eine Vielzahl der anderen Teilnehmer lächelte sich gegenseitig zu und nach dem Seminar tuschelte man noch langatmig über diese anscheinend so unsinnige Bemerkung, so daß von nun an jeder wusste, daß man diese Person auszugrenzen hatte, schließlich wollte man doch zum engeren Kreis einer sozial anerkannten Gruppe gehören.
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Warum gerinnt eigentlich in der Vorstellungswelt des Philos das Bild der Sophia zu einer traumhaft schönen Frau? Vielleicht ist sie doch eher ein armer, zerschundener, durch Male entstellter alter Mann, der so hässlich ist, wie die Wahrheit manchmal zu sein scheint? Vielleicht ist sie aber auch ein kalt berechnender Handelsmann, der nur demjenigen die Geheimnisse des Fachs verrät, der auch die gehörigen Mittel für sie bietet?
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Es ist doch interessant, wie leichtfertig wir sagen: „der Gedanke gefällt mir!“ Als würde in dieser Aussage die Behauptung der Behauptung etwas mit einem Lustempfinden gemeinsam haben.
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Die Möglichkeit einer Ethik kann man von vorhinein verwerfen, würde man diese nicht vom Anderen denken, denn man frage sich selbst, wie kann man sich selbst verpflichten, ohne verpflichtet worden zu sein? Ein autonomes Subjekt, das aus sich selbst eine Ethik hervorbringt, scheint barer Unsinn zu sein, denn was, außer sich selbst, würde es hervorbringen können?
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Was hat sich nicht schon alles unter dem schützenden Mantel der Wissenschaft legitimiert und unter dieser Legitimationshaube sein Unwesen getrieben. Aber wenn es der Wissenschaft dient, so tut man doch alles und zum Leidwesen der Versuchsobjekte manchmal wirklich alles.
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Beizeiten, wenn ich den Bleistift über das Papier ziehend die Zügel der Kritik löse, dann schlägt sich ein Gefühl durch die geschriebenen Worte, daß man doch mehr Vertrauen in die eigenen Erfahrungen haben darf.
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Wer vermeint von sich, aufrichtige Antworten auf die großen uns bedrängenden Fragen geben zu können? Es fehlt trotz so vieler Versicherungsmakler die letzte große Versicherung.
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Wissenschaft scheint sich zur konkreten Wirklichkeit wie die Erinnerung zum Erlebten zu verhalten.
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Man erwäge es für einen kurzen Moment und frage nicht sofort nach den Konsequenzen: Das Lebewesen, von sich selbst genannt, Mensch, hat vielleicht vornehmlich von sich und der Welt Bewusstsein entwickelt, nicht primär um die Welt und sich zu erkennen, sondern um sich in ihr zurechtzufinden, sich in ihr bewegen zu können, so daß man mit sich und in der Welt sein Überleben sichern kann.
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Ich glaube, und an dieser Stelle muss ich meinen Glauben zu Felde führen, daß Wahrheit nur für sich selbst stehend uninteressant und irrelevant ist, denn Wahrheit weckt anscheinend erst dann das menschliche Interesse, wenn sich attributive Bestimmungen hinzugesellen. Für den Logiker ist eine Wahrheit erst dann eine interessante Wahrheit, wenn sie widerspruchsfrei ist, für den Moralisten ist eine Wahrheit erst dann wahr, wenn sie gut und richtig ist, für den alltäglichen Gebrauch ist eine Wahrheit erst dann angemessen, wenn sie praktisch und zu gebrauchen ist etc.. So kommt man, natürlich auf Abwegen wandelnd, schnell zu einem inflationären Wahrheitsbegriff, der Ansprüche auf Wahrheit positiv fasst und die Wahrheitskämpfe deskriptiv aufnimmt.
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Die Philosophie, ohne Zweifel ein geeigneter Platz für Wahrheitskämpfe, ist wie ein Chamäleon, das seine Farben ständig wechselt und eine lange flinke Zunge hat. So schnell es mit der Zunge nach Beute schnappt, so schnell passt es sich der Umgebung an. Ja, es ist ein einmaliges Reptil. Doch eins bleibt noch anzudeuten: Ein einzelnes Chamäleon, das wahrgenommen wird, ist begreifbar da, die Philosophie gibt es gar nicht.
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Ist es nicht ein überaus schlechter Scherz, daß der moderne Mensch seine so hoch gepriesene Freiheit mit gleicher Münze bezahlt? Wo einst das autonome Individuum teuer erkauft wurde, betrachtet man heute eine heiß umworbene Konsum- und Wunschmaschine.
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Sind wir Menschen nicht Geißeln unseres eigenen Hochmuts? Vergessen in all unserer Gier nach Wirkung das Ausmaß des Rätsels, das uns integriert und uns im Werden vergehen lässt.
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Es gibt wohl viele gute Gründe dem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen, weil aber nunmehr das Leben sinnlos erscheint, gibt es auch einen wesentlichen Grund, das Leben zu erhalten, denn das Leben ist vor allem Sinn.
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Philosophieren bedeutet entweder ein Fragen auf das es überhaupt keine Antwort gibt oder ein Fragen auf das es gleich mehrere Antworten gibt. Es ist also nicht nur unsinnig zu Philosophieren, sondern es ist im höchsten Grade unbefriedigend. Veranschaulichen lässt sich diese These mit der Stimmung des Lesers, der gerade im Begriff ist zu urteilen, daß diese Zeilen unsinnig und unbefriedigend seien.
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Die große Utopie, welche einige Philosophen mit in diese Welt gesetzt haben, lässt sich darin entdecken, daß nur ein strebsames und konsequentes Suchen zum Glück und zur Eigentlichkeit führen kann. Somit verlernten wir aber das Stehenbleiben, und vergaßen darüber hinaus die Idee, daß man nur im augenblicklichen Sinnen dem Glücklichsein inne werden kann. So sind unsere Köpfe viel zu sehr nach vorn, ins Zukünftige, geneigt; immer suchend und nichts außer Zukünftiges findend.
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Wie Sie dort sitzen, schwere Köpfe haben, Philosophen sind. Oh, ihr weisesten Menschen, ihr seid mir so betroffen, stützt ständig eure voll gepfropften Köpfe auf den Händen, eurem großen Werkzeug, ab. Wie schwer erträglich doch die eigene Physis ist! Da hilft es schon, schwingend, fliegend, weite Gedanken zu spinnen. Philosophen, ihr seid mir sehr weise! Oh, was sehe ich da, ein Mund, der gähnt, – nein, nicht der Philosoph -, mag wohl müde sein vom vielen philosophieren, kritisieren, vielleicht lamentieren? Ah, was soll das blöde Schwatzen! Kreuz lieber meine Beine, dann zurückgelehnt im Stuhl, leg ich die Philosophenposse auf, so daß ich denken kann, ich wäre Philosoph, sehr weise und am wichtigsten, klassifiziert.
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So wie man Erkenntnisse gewinnt, so kann man Erkenntnisse auch verlieren. Sie sind zumeist nur von kurzer Dauer.
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Verliert man die Gabe an der Wirklichkeit die Möglichkeit zur Veränderung zu entdecken, so scheint man hoffnungslos verloren; erblindet!
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Die umgreifende Utopie der Philosophie, die gleichsam dem Anfang jeden Philosophierens zugrunde liegt, beruht auf dem Gedanken, daß es die Möglichkeit geben müsse, etwas objektiv besser denken und ausdrücken zu können.
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Wieso wird es eigentlich als Größe unserer Kultur angesehen, daß wir immer wieder angehalten sind, unsere eigenen Mythen zu zerstören? Zu Gebote stehen einige verkürzte Erläuterungen, welche die Berechtigung dieser Frage anzeigen: So zerstörte die Aufklärung die göttliche Ordnung mitsamt ihren kosmischen Repräsentationen und erschuf den Menschen als Subjekt der Vernunft zum Statthalter eines eschatologischen Segens. Die Moderne, ein folgenreicher Schritt, der sich selbst erbauenden Destruktion, beseitigte den Mythos vom Heil der Geschichte und verflüchtigte die Vernunft zu Rationalitätsformen ohne aber das Subjekt recht gelingend loszuwerden. Dabei wurde zum obersten Ziel ernannt: Die reflexiv fortschreitende Verständigung. Schließlich kamen die Nachmodernen auf das Tableau der wandelnden Interpretationen. Sie beseitigten den Glauben an ein besseres Morgen, das Subjekt und letztendlich verlachten sie die Möglichkeit zur Verständigung. Der einmalige Gewinn: Willkürliches Handeln, Kontingenz der Situationen und eine Bedeutungslosigkeit in der Stimmung eines ästhetischen Oberflächengebildes. Und nun, fressen wir uns vielleicht selbst auf?
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Wäre es möglich, sich ein Philosophieren ohne Bedürfnis und ohne Absichten vorzustellen? Einfach so? Dies ist eine blasphemische Äußerung über die Möglichkeit eines freien Geistes.
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Wieso ist man eigentlich noch nicht in ein lautloses Schweigen gefallen? Ist dies das letzte große Rätsel, das intrigiert oder der Horror, der unsere Wissensmacht erzeugt? Lebenshoffnung und der Tod des Lebens liegen in dieser Frage dicht beieinander.
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Es gäbe so viele Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und du? Du kämpfst mit Worten, die nicht einmal ihre Leere verbergen.
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Mit der Frage nach dem Sinn ist es wie mit der Frage nach dem richtigen Geschmack. Diese Ähnlichkeit spricht für eine Ästhetik der Existenz.
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Man hat wohl gelernt, daß die Philosophie als ausgewiesener Glaube an die Erkennbarkeit der Dinge vollkommen ungeeignet ist, und dies ist in dieser offenbaren Form richtig, denn ein sich selbst ausweisender und artikulierter Glaube wäre ein zu geringer Gewinn und stünde nicht im richtigen Verhältnis zu dem hohen Einsatz der Wahrheitssuche. Gleichzeitig – und an dieser Stelle tritt die Maskierung und die Verstellung auf die Bühne- vernahm man aber auch, daß der Glaube – dieses maskierte Für-wahr-halten der gestandenen Begriffe – das einzige Mittel ist, mit dem man den Begriffsgebäuden eine gewisse Standfestigkeit gewährleisten kann und die philosophische Praxis zeigt doch nur zu deutlich, daß wenn man an ein bestimmtes Begriffsgebäude festhält, dann findet man auch ausreichend gute Gründe für die Verteidigung des Gebäudekomplexes, und wenn man von einem bestimmten Begriffsgebäude einmal kritisch gestimmt wird, dann entdeckt man schon genug Lücken, die einen Einsturz des Gebäudes hervorrufen können. Man sieht also, daß der echte Nutzen der Philosophie ein wendehalsiger Glaube ist, sei es der maskierte Glaube an die Erkennbarkeit der Welt, sei es der rhetorische Glaube an die Nicht-Erkennbarkeit der Welt oder sei es der ironische Glaube an den Nicht-Glauben.
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Der Mensch transzendiert anscheinend die von der Natur eingerichtete Ordnung, indem er nicht für die Natur ist, sondern vielmehr für sich selbst ist. Sowie man also sagte „l’art pour l’art“, so kann man ebenso sagen „l’Homme pour l’Homme“.
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Es ist doch ein zugleich fantastisches und schauriges Schauspiel, daß über die vielverzweigten Medien unablässig Wünsche in uns erzeugt werden, über die wir uns dann identifizieren und uns unsere eigene personale Identität konstruieren. Es ist so als wäre der Mensch ein leerer Behälter, in den man alle möglichen leeren Formen hineinfüllen kann, die dann dieser Behälter, wie auch immer er dazu fähig sein mag, mit Material auszufüllen sucht. Und niemand ist in diesem Spiel vor Manipulation gefeit, und hypothetisch sei darauf hingewiesen, daß mit dieser Selbsttäuschung vielleicht alle kulturell erzeugte Selbstliebe begonnen hat.
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Herzlich Willkommen in der Manege meine Damen und Herren! Heute präsentieren wir ihnen den weitaus vollkommensten Tierbändiger und Dompteur aller Zeiten. Und es ist – Sie ahnen es meine Damen und Herren – der einmalige und unvergleichliche Zoon Politikon. Und so rufen wir ihn gemeinsam an: Diszipliniere, reguliere, verwalte und normiere unser Handeln; wir sind dein Material und deine Zielscheibe. Komm‘ und lehre uns deine Weisheit, wie das Tier Mensch zu gestalten und zu erziehen ist, du unser sterblicher Götterbote.
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Die Geschichte der Philosophie berichtet von einer auf Dauer gestellten und noch heute gewichtigen Lehre. Diese Lehre ist die Kunst des Verleugnens und des Verbergens. Dabei hat diese Kunst, die im Namen des Referenten des Wahr-Sprechens geführt wird, im diskursiven Spiel um die Behauptungs- und Argumentationshoheit die eigentliche Referenz zu verleugnen und geschickt zu verbergen. Diese Referenz ist der fundamentale Glaube an den Referenten des Wahr-Sprechens, der gleichsam aber nicht in Erscheinung treten darf, sondern vielmehr durch sich selbst performativ verleugnet und verborgen werden muss. In diesem Sinne ist diese philosophische Kunstlehre vielleicht die vielschichtigste und grandioseste aller rhetorischen Prozeduren, die als verhüllender Mantel den darunter liegenden Glaubenskörper aufs Vortrefflichste verbirgt.
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Wie ist es eigentlich um die Wissenschaftlichkeit der Philosophie bestellt? Merkwürdig ist, dass die Philosophie, unabhängig von ihrer historischen Determination, sich nicht auf faktische Sachverhalte, letztlich zu falsifizierenden Hypothesen gründen kann, denn dies ist unter funktionalen und pragmatischen Gesichtspunkten die Aufgabe der empirischen Wissenschaften. Was bleibt also der Philosophie übrig, sich als ursprünglich höchste wissenschaftliche Disziplin auszuweisen? Könnte es mehr als die Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit der Aussagen sein, schließlich führt man als Philosoph Karren voller Hülsen zumeist verhüllt von riesigen Gewändern zum Markt und nennt sie dort voller Stolz die Sprache der Vernunft? Jedoch stellt sich die einfache Frage, ob das Benennen von Aussagen als vernünftig, widerspruchsfrei und schlüssig hinreichend ist, um etwas als wissenschaftlich zu behaupten. Wer legt also fest, was als schlüssig, vernünftig und widerspruchsfrei zu gelten habe? Zwar wird es auf „das Wer“ dieser Frage keine schlüssige Antwort geben, trotzdem beinhaltet diese eigentümliche Frage schon die Antwort, denn die Philosophie als geschichtlicher Fortsatz seiner selbst und geschichtliche Rückschau zu sich selbst scheint sich die Definitions- und Argumentationsmacht selbst zu schaffen. Sie erzeugt sich im Organon der Sprache selbst ihre Rechtfertigung.
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Es gibt wohl ein gewichtiges Argument, das Phänomen der Sprache philosophisch zu bedenken und dieses lautet, dass man im Grunde genommen soviel denken kann, wie man will, denn dieses Gedachte wird solange ohne Bedeutung bleiben, bis es schließlich benannt und gesagt worden ist.