Eine äußerst attraktive Frau fragte mich einmal, wir kannten uns gerade ein paar Wochen, „wieso schaust Du mir nie fest in die Augen?“ Dabei schaute sie mir natürlich fest in die Augen, dass ich meinen Blick abwandte, kurz überlegte und zurückgab: Es sind hauptsächlich zwei Befürchtungen damit verbunden. Die erste ist, wenn ich dich fest anblicken würde, ich unweigerlich einmal ein Duell der Blicke gewinnen würde und somit als Sieger dein Gesicht so betrachten dürfte, wie es mir beliebte. D.h., ich würde ganz meiner Leidenschaft nachgehen, die ganze Schönheit deines Gesichts in allen Einzelheiten in mich aufsaugen und mich sicherlich unsterblich in Dich verlieben.
Hier hielt ich kurz inne und sie lächelte mich an, nein eher in sich hinein und bekam so das positive Feedback ihrer körperlichen Attraktion: „Wieder einer, den ich in der Hand halte mit meinem Lächeln“. Oh, zähle mich nicht zu früh zu den lebenden Toten deiner Launen. Ich habe mich gerade nicht in eines deiner Schweine auf Lesbos verwandelt, sondern habe dir noch ein Geschenk gebracht. Es ist eine Blume, aber nicht nur aus Höflichkeit oder Liebeswahn, sondern vor allem als Schutz meiner Selbst.
Meine zweite Befürchtung – so fuhr ich fort – ist eine, die sich besonders mit der Zeit entfaltet und anfänglich kaum vorhanden, es sei denn man schaue ganz genau, mit scharfen Adleraugen. Denn um so länger ich dich leidenschaftlich-intensiv betrachte, und mit dir rede, um so näher lerne ich dich kennen. Durch unsere heutigen Massenmedien ist dieser anonyme und oberflächliche Blick auf andere Menschen, der gerade mal eine oder zwei Sekunden beansprucht, mehrfach alltäglich. Diese Sichtweise lässt sich auf zwei Ausgänge beschränken: a) ‚sexual’ oder b) ‚uninteresting’
Die vergnügliche Oberflächlichkeit dieser Blick-Perspektive wird früher, eher später durch unseren anhaltenden Adlerblick gestört. Plötzlich fällt etwas auf, vielleicht eine Proportion, ein Kontrast oder eine Geformtheit, die magisch anzieht. Der Blick ist dann fündig geworden. Nun weiß er, was er betrachten muss.
Das wichtigste Adjektiv der Schönheit ist „mittelmäßig“. Schönheit besitzt der, dessen Körperteile in ihren Proportionen zu den anderen passen. Das Maß der Nase zum Mund zu den Lippen zum Kinn ist schön, wenn alles zueinander passt, das Verhältnis rein, alles ungestört ineinander übergeht. Das Maß der Schönheit ist also das Mittel der Körperteile zueinander. Schönheit ist Mittelmäßigkeit. Und genau dies verstehen wir nicht, aber unsere fündig gewordenen Adleraugen. Sie wissen das Bild zu durchschauen. Sie stellen gierig etwas bloß und zwar eine Unverhältnis- Mäßigkeit. Diese zieht unsere Aufmerksamkeit an und durchleuchtet sie, dass sie unsere vergnügliche Blick-Perspektive ‚sexual’ eine Hässlichkeit meldet, eine Dis- proportion! Das Ideal der Schönheit dieser äußerst hübschen Frau beginnt sich aufzulösen. Sie ist ja gar nicht so hübsch, wie ich meinte.
Der Komet erstrahlt nun bezaubernder als die Sonne. Nun ist die Zeit gekommen sich nach einem neuen ‚sexual’ umzustarren. Wir können das doch gut, haben doch täglich Übung darin…
Mit diesem Satz wendete ich mich ihr wieder zu und sah ihr ein einziges Mal tief in die Augen. Das ist der Grund, weshalb ich dich lieber durchschaue, ohne dich anzublicken, weil ich darum weiß. Ach, wie leicht trug ich in diesem Duell der Blicke den Sieg davon. Deswegen erblicke ich am liebsten deine ausgesprochene Attraktivität in nur schnell erhaschten Augenblicken, die in mir ein Bild deiner ewigen Schönheit hinterlassen.